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Ehrenamt Flüchtlingshilfe - Ein subjektiver Erfahrungsbericht

  

Vor etwas über zwei Jahren kamen sehr viele Menschen nach Deutschland, die vor Krieg und Terror auf der Flucht waren, und hier Asyl suchten. Sie wurden anfangs mit offenen Armen willkommen geheißen. Ich erinnere mich noch gut an die Bilder vom Münchener Hauptbahnhof. Später kippte die Stimmung. Die fremde Menschenmenge machte vielen Leuten Angst. Dennoch gab es auch eine große Welle an Hilfsbereitschaft. In den unterschiedlichen Flüchtlingsunterkünften engagierten und engagieren sich viele von uns.

 

Ich habe mich im Oktober 2015 dazu entschlossen, mir die Flüchtlingsthematik nicht mehr nur von außen anzusehen, sondern meinen Berührungsängsten im wahrsten Sinne des Wortes zu begegnen.

 

Der erste Schritt war eine Infoveranstaltung des örtlichen Arbeitskreises Asyl. Am Ende des Abends hatte ich in einer Liste vermerkt, in welchen Bereichen und im welchen Umfang ich mir eine ehrenamtliche Mitarbeit vorstellen konnte. Dann ging alles recht schnell. Ein Anruf am nächsten Morgen – 1,5 Stunden Deutschkurs pro Woche sollten es werden. Kurz darauf ein Hospitationstermin, an dem ich schon ziemlich aktiv wurde, weil es die Zusammensetzung der Gruppe erforderte. Logischerweise gibt es nicht „den Flüchtling“. Die Leute kommen aus den unterschiedlichsten Bildungsschichten, haben geringe Deutschkenntnisse oder gar keine, sprechen Englisch oder auch nicht.
Drei Monate lang hatten wir eine ziemlich gleich bleibende Stammgruppe und konnten sukzessive deutsche Sprachkenntnisse aufbauen. Eines Tages traf ich statt den mir bekannten Irakern und Syrern (die wohl mit einem neuen „Flüchtlingsstatus“ versehen anderen Städten zugeteilt worden waren) auf eine Gruppe junger Äthiopierinnen. Also spontan alles wieder auf null, diesmal ohne Englisch als Übersetzungshilfe.

 

Bisweilen gab es auch kuriose Diskussionen. So schrieb ich aus organisatorischen Gründen vor der Weihnachtszeit ins Internetforum, dass ich deutsche Weihnachtsbräuche mit den Flüchtlingen besprechen möchte. Daraufhin wurde mir von einem anderen deutschen Ehrenamtlichen sehr vehement nahe gelegt, ich möge darauf Rücksicht nehmen, dass viele meiner Kursteilnehmer gläubige Muslime seien und das Christentum bitte raushalten. Bei der kleinen Weihnachtsfeier mit den Geflüchteten ergab sich die Gelegenheit, persönlicher miteinander ins Gespräch zu kommen. Auch über den Glauben (soweit die Sprachbarriere das zuließ). Neben Menschen muslimischen Glaubens, saßen auch Christen in meinem Kurs. Ich hatte nicht das Gefühl, dass irgendjemand ein Problem mit dieser Mischung hatte und die Thematisierung deutscher Weihnachtsbräuche wurde interessiert aufgenommen.

 

Inzwischen habe ich ein anderes Einsatzgebiet. Im Sommer letzten Jahres wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, die Patenschaft für eine anerkannte Familie aus dem Irak zu übernehmen. In den Flüchtlingsunterkünften gibt es gut organisierte Strukturen. So ist der Eine für den Deutschkurs zuständig, die Andere unterstützt bei Ämtergängen, wieder Andere übernehmen Hausaufgabenbetreuung, begleiten bei Arztbesuchen usw. Sobald eine Person oder Familie anerkannt und in eine eigene Wohnung umgezogen ist, fällt diese Hilfsstruktur weitestgehend weg. Hier sollen die Patenschaften greifen, d.h. man unterstützt eine Familie in allen Bereichen, wo sie Hilfe benötigt.

 

Kennengelernt habe ich „meine“ Familie im Juli noch in einer Gemeinschaftsunterkunft. Der Umzug im August und die Einschulung des jüngsten Sohnes im September standen an. Das waren sowohl Aufgaben zum Anpacken, wie beim Umzug, als auch viele Behördengänge und das Ausfüllen von Formularen und Ummeldungen.

Später kamen gesundheitliche Probleme, Gespräche mit den Lehrern der Kinder und mit der Vermieterin, Hilfe beim Möbel aussuchen ... dazu.

 

Eine Patenschaft ist sehr individuell. Sie kann sich ganz unterschiedlich gestalten je nach Größe der Familie, ihrer Selbstständigkeit und auch dem Bildungsstand.

Im Deutschkurs hatte ich damals zwei Kinder aus die Irak, die fast besser Englisch sprachen als ich. „Meine“ Familie spricht gar kein Englisch, das Deutsch der Eltern ist noch sehr schlecht. Unsere Dolmetscherin ist die 13jährige Tochter mit allen Vor- und Nachteilen. In den inzwischen sieben Monaten Patenschaft habe ich viel erlebt und auch gelernt, z.B. das richtige Maß zu finden zwischen Unterstützung und Eigenverantwortung der Familie. Wie „Hilfe zur Selbsthilfe“ konkret aussieht. Es gibt Momente, wo wir uns aneinander reiben, wo gegenseitige Erwartungen austariert werden müssen. Und es gibt schöne Momente. Die Familie ist sehr gastfreundlich, ich werde immer ausgiebig bewirtet. Es ist erfüllend, sich mitzufreuen, wenn sich ein Problem gelöst hat. Ich will allerdings auch nicht verschweigen, dass ich im Herbst, als alles schief ging, was schief laufen konnte, und jeder mich als Ansprechpartner und Organisatorin ansah, an meine Belastungsgrenze stieß. Irgendwie konnte ich mir plötzlich sehr gut vorstellen, wie sich ein Burnout anfühlt. Gott sei Dank hat sich auch diese Situation gelöst und „meine“ anfangs sehr fordernde Familie wird zunehmend selbstständiger.

 

Es blieb auch nicht aus, dass sich meine Freunde und Verwandte bei einem Thema, das so emotional diskutiert wird, positionierten. Während mir für mein ehrenamtliches Engagement von der einen Seite großer Respekt, fast schon Bewunderung entgegengebracht wird, gibt es auf der anderen Reaktionen wie Rückzug, Belächeln oder heftige Diskussionen. Diese Reaktionen treffen mich. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir sehnlichst wünsche, dass das Thema nicht angesprochen wird, denn ich schätze und mag diese Menschen und möchte mich tatsächlich am liebsten vor der Konfrontation drücken. Oder schützen.

Mein wichtigstes Argument ist und bleibt die Menschlichkeit. Wie kann ich Grenzzäune hochziehen und bei Erreichung einer bestimmten Zahl – völlig unabhängig von Herkunft und Schicksal – einen Menschen abweisen und ihn damit vielleicht in den Tod schicken?

 

In der Bibel wimmelt es nur so von „Asylanten“. Es werden einzelne Menschen auf der Flucht beschrieben, aber auch ganze Völkerbewegungen. Biblische Persönlichkeiten wie Abraham, Isaak oder Naomi verließen ihr Land wegen Hungersnöten, waren also so etwas wie Wirtschaftsflüchtlinge. Mose wäre heute wohl als politischer Flüchtling einzuordnen. Andere waren auf der Flucht vor der eigenen Verwandtschaft – Jakob vor seinem Bruder, David vor dem Schwiegervater. Maria und Josef mussten bereits mit dem neugeborenen Baby Jesus fliehen, um ihn vor König Herodes zu schützen. Und auch Paulus und die ersten Christen wurden für ihren Glauben verfolgt und waren deshalb häufig auf der Flucht.

 

Die Bibel gibt klare Anweisungen für den Umgang mit asylsuchenden Menschen, die häufig als „Fremde“ oder „Ausländer“ bezeichnet werden, was gleichbedeutend mit „Gast“ zu verstehen ist:

 

 - Unterdrücke die Fremden nicht! Ihr wisst doch, wie einem Fremden zumute ist, denn auch ihr seid Fremde in Ägypten gewesen. (2. Mose 23,9)

 - Unterdrückt die Waisen und Witwen nicht, auch nicht die Ausländer oder die Armen! Und schmiedet keine bösen Pläne gegeneinander! (Sacharja 7,10)

 

Natürlich sollte man weder einzelne Bibelstellen aus dem Zusammenhang reißen, noch die damaligen Situationen eins zu eins auf die heutige übertragen. Dennoch kann ich sie als Wegweisung verstehen. Interessant finde ich, dass in Sacharja die Ausländer in einem Atemzug mit den Waisen, Witwen und Armen des eigenen Volkes genannt werden. Häufig wird ja argumentiert, dass es in unserem Land kein Geld für Flüchtlinge gibt, weil wir selbst genug Obdachlose und arme Menschen haben, die auf Unterstützung angewiesen sind. Leider schreien das oft die Leute am lautesten, die sich vor der Flüchtlingskrise überhaupt nicht mit hilfsbedürftigen Deutschen beschäftigt haben.

Richtig ist, dass es kein Entweder-Oder geben darf. Ich habe mich gefreut, als ich in einer Ausgabe des Straßenkreuzers (Obdachlosenzeitschrift) gelesen haübe, dass man sich nicht gegen Flüchtlinge ausspielen lassen möchte.

 

Im zweiten Korintherbrief schreibt Paulus: „Gebt so viel, wie ihr entbehren könnt. Wenn ihr wirklich dazu bereit seid, kommt es nicht darauf an, wie viel ihr erübrigen könnt. Gott möchte, dass ihr gebt, was ihr habt, und nicht, was ihr nicht habt. Denn ihr sollt natürlich nicht so viel geben, dass ihr nachher selbst nicht mehr genug habt.“ … „Im Moment habt ihr viel und könnt ihnen helfen. Ein andernmal können sie dann mit euch teilen, wenn ihr es nötig habt. Auf diese Weise hat jeder, was er braucht.“

Es geht hier um eine Spendensammlung für die Gemeinde in Jerusalem. Dennoch hat mich dieser Text auch bezüglich der heutigen Situation in Deutschland sehr angesprochen. Zum Einen, weil ich – mit Blick auf andere europäische Länder – tatsächlich glaube, dass es unserem Land ziemlich gut geht und wir etwas zu geben haben. Zum Anderen, weil Paulus ganz klar schreibt, dass jeder nur geben kann und soll, was er hat und es nicht darum geht, sich selbst bis zur eigenen Hilfsbedürftigkeit aufzuopfern. Das gilt, denke ich, für finanzielle Unterstützung, aber auch für ehrenamtlichen Einsatz. Hier ist es genauso wichtig, auf seine eigenen Grenzen und Belastbarkeiten zu sehen und gegebenenfalls die Notbremse zu ziehen.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten der Hilfe. Neben finanzieller Unterstützung und Zeitspenden ist die Kraft des Gebets nicht zu unterschätzen. Und auch der Mut - ob in sozialen Netzwerken oder im persönlichen Kontakt - im richtigen Moment den Mund aufzumachen oder ihn auch mal zu halten.

 

Zur Zeit kommen weniger Menschen aus den Kriegsgebieten zu uns. Was nicht daran liegt, dass die Situation sich dort besonders verbessert hätte. Die Begrenzung des Familiennachzugs ist Thema der anstehenden Koalitionsverhandlungen.

 

Ich weiß auch nicht, wie es mit Deutschland und den Flüchtlingen weiter geht. Sehe Grenzen, verstehe Ängste. Die Bereitschaft, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren nimmt ab. Dabei steht die größte Herausforderung – anerkannte Menschen gut in Deutschland zu integrieren – noch bevor.

 

Ich bin froh, nicht die Verantwortung für das Gelingen oder Nichtgelingen zu tragen. Und ein großes Stück Entlastung ist für mich das Wissen, dass es den Einen gibt, der den Überblick hat, den Anfang und das Ende aller Flüchtlingsgeschichten kennt:Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ (Psalm 121,2)

 

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