Ich habe den prüfungsfreien Vormittag heute genutzt und einen Abstecher zum "Wundertätigen Kreuz" in Gößweinstein unternommen. Vor knapp zwei Jahren war ich mit meinem Mann das erste Mal dort und habe mein eigenes kleines Wunder erlebt, von dem ich euch erzählen möchte. Auch heute gab es einen ganz besonderen Moment für mich, aber davon ein anderes Mal.
Kleine Wunder - eine Frage der Perspektive
Wir wohnen am Rande der fränkischen Schweiz. Ein halbes Stündchen Autofahrt und wir sind dort, wo andere Urlaub machen. Schönes Wetter, die Kinder unterwegs mit den Großeltern – mein Mann und ich nutzten die Gunst der Stunde, mal wieder zu zweit einen Abstecher in die Natur zu unternehmen. Wir streiften durch den Wald, vorbei an Felsen und Bächen, bewunderten einige Kletterer und erklommen auch mal einen Aussichtspunkt über den sicheren Treppenweg.
Auf der Rückfahrt lasen wir ein Schild „Heute Trödelmarkt“ und beschlossen spontan, in dem kleinen Ort anzuhalten und über den Markt zu bummeln. Es handelte sich um den hierzulande bekannten Wallfahrtsort Gößweinstein, was wir lustigerweise erst später erkannten, weil wir – der Weg ist das Ziel – von einer anderen Seite als sonst dort ankamen. Zwischen Trödelmarktbummel und Besuch in der Basilika unternahmen wir noch einen kurzen Abstecher zu dem Kruzifix, das – durch einige kleine Anstiege und Treppen erreichbar – über Stadt und Gotteshaus errichtet ist.
Seit unserem letzten Skiurlaub nehme ich diese Kreuze intensiver wahr. Dort hatte sich für mich ein tägliches Ritual entwickelt. Ich lief einen etwa halbstündigen Rundweg von unserer Unterkunft über ein Kruzifix zurück zur Kirche, die sich direkt neben der Pension befindet. Das Kreuz steht in einer Art kleinem Gärtchen, umgeben von Forsythienhecken, die gerade zu blühen begannen, mittendrin eine Bank. Auf der ließ ich mich nieder, bewunderte die Berge um mich herum und hatte – das Kreuz im Blick – einige intensive Momente mit meinem Gott.
Diese Erinnerung im Kopf stiefelte ich also die Anhöhe zum Gößweinsteiner Kruzifix hinauf. Oben angekommen genossen wir erstmal den Blick über Burg, Kloster, Basilika und die wunderschöne Landschaft.
Danach wandte ich mich dem Kruzifix und der Darstellung des gekreuzigten Jesus zu. Er hatte die Augen geschlossen. Ich weiß nicht, warum, aber mir kam der Gedanke, dass ich gerne ein Wunder erleben würde, ähnlich wie es die Informationstafel auf der Anhöhe über einen Bauern beschreibt, der im 30jährigen Krieg bei seiner Flucht vor vier Schweden auf diesen Gipfel geflüchtet war. Er registrierte, dass es kein Entkommen gab und stürzte sich – in Erwartung des sicheren Todes – in die Tiefe, um seinen Verfolgern nicht in die Hände zu fallen. Er landete dabei jedoch auf dem Strohdach eines Bauernhäuschens und konnte in den nahegelegenen Wald fliehen. Nach einigen Jahren – so berichtet es die Sage – errichtete er am Ort seiner wundersamen Bewahrung ein kleines Holzkreuz, das später durch das jetzige Bergkreuz ersetzt wurde. Ein Wunder wäre es doch, wenn Jesus die Augen öffnen würde. Verrückter Gedanke, ich weiß. Vielleicht hatte mir die Sonne schon etwas zugesetzt … ;-)
Wir saßen einige Zeit auf der Bank, die direkt unter dem Kruzifix steht, genossen unsere Zweisamkeit, die Aussicht und das Leben. Bevor wir den Weg zur Basilika antraten, warf ich einen letzten Blick auf das Kreuz und blickte in ein leicht geöffnetes Auge von Jesus.
In Gößweinstein wurde kein weiteres Gotteshaus errichtet, weil ich dort ein Wunder erlebt habe. Nein, Jesus hat nicht seine vorher fest geschlossenen Augen aufgerissen und mich angesehen. Der Veränderung war klein und ich konnte nach intensiver Betrachtung erkennen, dass er mit herabhängenden Augenlidern dargestellt ist. Je nachdem von welcher Seite man auf ihn blickt, sehen die Augen völlig geschlossen oder leicht geöffnet aus. Das alles war und ist mir klar. Dennoch habe ich an diesem Tag mein Wunder erlebt. Ein kleines, feines, stilles Wunder und die Erkenntnis, dass Wunder manchmal eine Frage der Perspektive sind.
Der Rundweg heißt übrigens „Sagenweg“, weil an mehreren Stellen Tafeln aufgestellt sind, auf denen man Sagen und Legenden nachlesen kann, die sich rings um Gößweinstein ranken. Als mein Blick beim Rückweg auf den Wegweiser fiel, las ich jedoch erst einmal „Segenweg“. Auch das mag ein Zufall sein. Für mich war es ein Zeichen, dass der Gott, an den ich glaube, lebt, mich sieht und sich nicht zu groß und zu erhaben ist, einem seiner Kinder ab und zu ein kleines Wunder zu schenken.
Wir besuchten noch die Basilika. Eine Pilgergruppe war am Vorabend in Gößweinstein angekommen und an diesem Abend sollte ein Gottesdienst stattfinden. Der Organist aus der Heimatgemeinde der Pilger probte gemeinsam mit einem Bläser. Herrlich! Ein Fest für unsere Ohren, völlig ungeplant und überraschend.
Neben der Basilika gibt es einen schönen kleinen Biergarten. Genau wie man ihn sich vorstellt an einem warmen Sommertag im Schatten der Bäume, mit Blick auf die Kirche, aus der immer noch Musik nach draußen drang. Dort hat unser WUNDERbarer Tag sein Ende genommen. Die Erinnerung daran ist in meinem Herzen festgeschrieben und jetzt auch auf Papier, damit ich sie immer wieder hervorholen kann, wenn mir mal nach einem kleinen Wunder ist.
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