In den letzten Jahren ist mir der Begriff "Kraftort" immer wieder begegnet. Er verleiht Waldlichtungen, Quellen, Berggipfeln und anderen Plätzen in der Natur eine besondere Bedeutung. Manchmal ist er aus der esoterischen Ecke zu hören, ein anderes Mal aus der erlebnispädagogischen. Bewusst wahrgenommen habe ich die Bezeichnung das erste Mal vor sieben Jahren. Wir machten Urlaub auf einem abgelegenen Bergbauernhof in Kärnten. Mitten im wunderschönen, weitläufigen Garten stand ein großer, alter Baum. Mit mächtigem Stamm, umbaut von einer Holzbank, so dass man sich anlehnen konnte, die Augen schließen und dem Rauschen der Blätter lauschen. Wahrhaftig ein besonderer Ort, um zur Ruhe zu kommen, die Gedanken zu sortieren und nach einer Weile gestärkt wieder aufzustehen und seiner Wege zu gehen. Die alte Bäuerin nannte ihn Kraftort.
Immer wieder habe ich inzwischen solche besonderen Orte für mich gefunden:
Im Skiurlaub bei meinem täglichen Spaziergang zwischen der Dorfkirche und dem Kruzifix. Letzteres stand in einem kleinen Gärtchen, in dem gerade die ersten Frühlingsboten zu blühen begannen. Auch hier gab es eine kleine Bank. Ich machte Rast, ließ meinen Blick über die umliegenden Berge schweifen und kam zur Ruhe.
Das wundertätige Kreuz in Gößweinstein, oberhalb der Basilika auf dem Felsen errichtet. Eine Holzbank steht direkt zu Jesu´ Füßen. Lässt man sich darauf nieder, hat man einen schönen Blick über den Ort und die umliegende fränkische Schweiz. Ich bin nicht oft dort, aber jedes Mal ist es besonders.
Vor zwei Wochen kündigte eine gute Freundin an, wir sollten uns für den am Abend stattfindenden Frauenkreis feste Schuhe anziehen und ggf. mit Mückenspray ausrüsten, denn sie hatte geplant, mit uns in den Wald zu gehen. Ich bin gerne im Wald und freute mich. Wir trafen uns vor ihrer Haustür und marschierten los. Es sei ein Spaziergang von 20-25 Minuten, meinte sie. Anfangs fand ich es noch richtig nett. Frische Waldluft atmen, sich ein bisschen die Füße vertreten und mit den Anderen quatschen. Irgendwann war die angekündigte Zeit vorbei und immer noch kein Ziel in Sicht. Sie hätte nicht gedacht, dass wir so langsam liefen, meinte meine Freundin. Na, danke! ;-) Ich weiß ja selbst, dass ich zu wenig Sport mache und nicht in Form bin. Eigentlich ist "zu wenig" Sport schon eine Übertreibung. Es dauerte und dauerte. Als wir schließlich vom Weg in ein Waldstück abbogen, sah ich zwei in meinen Augen ziemlich steile Anstiege vor mir. Das durfte doch nicht wahr sein! Wäre sie nicht so eine liebe Freundin, ich hätte gute Lust gehabt … . Dort oben sei es schon, sagte sie. Pah, wer´s glaubt!
Erinnerungen stiegen in mir hoch. Eine Wanderung mit meinem Mann bei Garmisch Partenkirchen. Ich schnaufte bergauf, kämpfte. Dieser Anstieg noch, dann würden wir am Ziel sein. Pustekuchen! Immer, wenn wir oben angekommen waren, kam die nächste Steigung. Obwohl ich zugeben muss, dass die Aussicht auf der Alm dann doch ziemlich umwerfend war und mir nicht nur der schweißtreibende Aufstieg in Erinnerung geblieben ist.
Meine Freundin hielt Wort. Wir waren tatsächlich am Ziel. Und - wow! - die Fotos geben leider nicht annähernd wieder, wie schön ich diesen Ort fand. Eine kleine Lichtung am Wegesrand, auf der einen Seite der Blick nach unten, auf der anderen Bäume, wo weit das Auge sieht. Und Stille. Wir schnappten wohl alle etwas nach Luft, so dass Ruhe an mein Ohr dringen konnte.
Meine Freundin hatte ein paar Bibelstellen für uns vorbereitet. Es ging um Resonanz. So, wie wir in den Wald hinein rufen, schallt es heraus. Unsere Gedanken erzeugen Gefühle, die wiederum unser Handeln beeinflussen. Dieses in den letzten Jahren verstärkt diskutierten Phänomen wird schon in der Bibel thematisiert. Wenn es negative Gedanken schaffen, uns in einer Abwärtsspirale gefangen zu halten, dann funktioniert das auch umgekehrt. Wir sammelten an diesem Abend alles, wofür wir in unserem Leben dankbar sein können. Und das ist einiges. Der Rückweg war leicht und beschwingt. Nicht nur, weil es bergab ging.
Noch am selben Abend war mir klar, dass ich wiederkommen wollte. Am liebsten allein, nur ich, meine Bibel und Gott. Aber - Angsthase, der ich bin - wusste ich auch, dass ich nicht viel davon haben würde. Denn, ich alleine im Wald, das heißt: Jedes Knacken panisch wahrnehmen und so schnell wie möglich das Weite (in diesem Fall die Straße) suchen. Eigentlich bin ich ein klar denkender, realistischer Mensch. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, im Wald einem Verbrechen zum Opfer zu fallen, ziemlich gering ist. Vermutlich würde sich ein Mensch mit bösen Absichten auch niemanden wie mich aussuchen: über 1.80 m groß und nicht gerade zierlich. Leider denke ich alleine im Wald nicht mehr logisch.
Aber ich habe einen verständnisvollen und mutigen Mann, der sogar im Dunkeln mit Stirnlampe im Wald joggen geht. Das Gefährlichste, was ihm dabei bisher begegnete, war ein Rudel Wildschweine. Naja, denen möchte ich auch nicht so gerne über den Weg laufen.
Wir beide schnappten also letztes Wochenende unsere Räder und machten uns auf den Weg. Zu meinem Erstaunen (mit dem Orientierungssinn hab´ ich´s auch nicht so) fand ich die Stelle wieder. Und da waren wir dann: nur ich, meine Bibel und Gott und mein Mann. An meinem neuen Kraftort.
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Pamela (Dienstag, 23 Juli 2019 06:38)
Ja klar....und da ich in Norddeutschland lebe, ist es das Wasser, die Nordsee, der Deich, der Wind, die frische Luft......es ist soooooo schön....am Deich sitzen und seinen Gedanken nachhängen...herrlich...��
Nici (Donnerstag, 25 Juli 2019 16:54)
Hach, da beneide ich dich fast ein bisschen. Ich mag die Nordsee auch so gern. Erst letztes Jahr waren wir im Sommer dort: Meer, Wind, Schafdeiche und diese Weite. Herrlich! Ich kann sehr gut verstehen, dass du dort Kraft tankst.