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Ein Plädoyer für die Kita-Zeit

 

Es begann leise. Vor ein, zwei Jahren häuften sich die #kindergartenfrei - Hashtags auf Instagram. Wo einerseits immer mehr Kinder ab ihrem ersten Lebensjahr die Krippe besuchten, machte sich andererseits eine gewisse Skepsis breit. Ist der Besuch einer Kindertagesstätte wirklich notwendig für die Entwicklung unserer Kinder? Geben wir an der Kindergartentür nicht zu viel Verantwortung ab? 

 

Ich kenne den elementarpädagogischen Bereich aus allen Perspektiven - als Mutter, Elternbeirat, ehemalige Kita-Leitung, Anleiterin von Praktikanten und in den letzten zwölf Jahren als Lehrkraft für angehende Kinderpfleger/innen. Zweimal in der Woche besuche ich meine Schüler im Praktikum, in Krippe, Kita, SVE (schulvorbereitende Einrichtung) und Hort. Die Einrichtungen liegen im Umkreis von 50 km der Schule. Ich sehe also etliche Kitas: mitten in der Stadt und weit draußen auf dem Land. Es gibt kirchliche, städtische und freie Träger und die verschiedensten pädagogischen Ansätze von Montessori über Waldkitas bis hin zu Kneipp-Kindergärten. Offene Einrichtungen, die keine festen Gruppen, sondern Funktionsräume (z.B. Bewegungsraum, Kreativraum/Atelier usw.) haben, sind ebenso vertreten wie die klassischen Modelle, eingruppig bis vielgruppig - von der Krippe bis zum Hort. Ich kann also sagen, dass ich einen gewissen Einblick habe. Und nachdem ich meine Schüler mehrfach besuche, ihre Praktikumsberichte korrigiere und mich mit ihnen über ihre Arbeit austausche, ist es - denke ich - auch kein oberflächlicher Eindruck. 

 

 

Kürzlich erzählte mir eine Erzieherin beim Praxisbesuch, dass sie froh sei, wenn sie in ein paar Jahren in Rente geht. Sie ist eine engagierte Pädagogin, die sich mit Herzblut sowohl für die ihr anvertrauten Kinder als auch die Praktikanten einsetzt. Warum dann solche Worte? 

Was sie als Einrichtungsleitung belastet ist folgendes: Die personelle Situation ist schwierig. Schwangere Kolleginnen fallen oft von heute auf morgen aus, weil sie ein Arbeitsverbot bekommen. Ersatz gibt es kaum. Auch der Krankenstand ist relativ hoch. Kein Wunder, jetzt im Herbst/Winter, wo Viren und Bakterien, Läuse und Magen-Darm-Erkrankungen die Runde machen. Das Team tut sein Bestes, das fehlende Personal auszugleichen. Sie machen ihre Arbeit gerne und gut. Das sollte anerkannt werden. In letzter Zeit ist stattdessen eine gewisse Skepsis von Seiten der Öffentlichkeit zu spüren. Berichte von übergriffigem Verhalten in Kindertageseinrichtungen machen die Runde. Misstrauen wird spürbar, Kritik liegt in der Luft. 

 

 

Das Gespräch mit dieser Erzieherin ließ mich betroffen zurück. Es sind also nicht mehr nur vereinzelte, leise Töne aus den sozialen Medien. Misstrauen und Kritik sind in den Einrichtungen angekommen. Ich habe das Bedürfnis, Stellung zu dieser Entwicklung zu nehmen. Deshalb dieser Blogpost. Ich schreibe ihn aus meiner eigenen, subjektiven Sicht heraus. Es ist nicht meine Absicht, die Augen vor übergriffigen Vorfällen in einzelnen Einrichtungen zu verschließen. Eltern müssen ihre Kinder schützen, wo es notwendig ist und es ist ihre Aufgabe, sensibel dafür zu bleiben, ob etwas Ungutes in Gang ist. Das ist gar keine Frage. Was ich mit diesem Plädoyer für die Kita-Zeit erreichen möchte, ist, dass Eltern auch sensibel für die gute Arbeit bleiben, die in den meisten Einrichtungen geleistet wird. Und dass sie ihre Anerkennung dafür auch aussprechen, sowohl dem pädagogischen Personal gegenüber als auch in der Öffentlichkeit. Denn Anerkennung schenkt Motivation und Kraft. Und sie hilft, das Bild von Kindertageseinrichtungen in der öffentlichen Wahrnehmung wieder ein wenig gerade zu rücken. 

 

 

In den letzten Jahren haben sich - meiner Beobachtung nach - die Ansprüche, die Eltern an die Kita-Zeit ihrer Kinder stellen, gewandelt. Sollte vor einiger Zeit noch möglichst viel in Richtung Vorschulförderung geschehen (am besten mit entsprechenden Programmen), wird heute vor allem der Wunsch laut, Kinder mögen sich frei und in ihrem eigenen, individuellen Tempo entwickeln. Viele Eltern fürchten eine vorzeitige Verschulung durch den Kita-Besuch.

Es mag Fälle geben, in denen diese Ängste ihre Berechtigung haben. Den meisten liegt, meiner Meinung nach, aber ein Missverständnis zu Grunde. Denn Kinder lernen spielerisch und mit Freude. Nie machen sie so viele Entwicklungsfortschritte wie im ersten Lebensjahr, wo motorisch, sprachlich, kognitiv und emotional wahnsinnig viel passiert. Das Kleinkind wird zunehmend beweglicher und unabhängiger von seinen Eltern. Es lernt, eigene Bedürfnisse auszudrücken und erlebt sich als handlungsfähig. Dank Entwicklungspsychologie und Hirnforschung sehen wir heute Kinder so, wie sie sind: von Anfang an kompetent, wissbegierig und lernfreudig. Bereits im vergangenen Jahrhundert machte sich das die Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori zu Nutze und entwickelte Lernmaterial, das die Kinder in ihrer natürlichen Entwicklung unterstützt. Übrigens zuerst für entwicklungsverzögerte und behinderte Kinder, mit denen sie im Casa dei Bambini arbeitete. Ihrer Meinung nach ist "der Weg, auf dem die Schwachen sich stärken ... der Gleiche wie der, auf dem die Starken sich vervollkommnen".

 

 

In Kindertagesstätten finden unsere Kinder eine vorbereitete Umgebung, die sie in ihrer individuellen Entwicklung anregt und unterstützt, und Pädagogen, die sie dabei begleiten. Durch ihre fachliche Ausbildung und die professionelle Distanz haben Erzieher/innen einen anderen, unverstellten Blick auf das einzelne Kind und können bei Bedarf unterstützend und beratend eingreifen. Dazu kommt, dass durch die Gruppengröße soziale Kompetenzen anders als in der (Klein-)Familie gefördert werden: Kompromisse aushandeln, abwarten, mit Frustration umgehen usw.  Sicher, all das geht auch mit Mama, Papa und Geschwistern, aber hier handelt es sich um die Familie, mit deren Reaktionen das Kind bereits vertraut ist und um deutlich weniger Personen.

Außerdem ermöglicht der Besuch einer Kita Bildungsgleichheit, denn nicht alle Eltern fördern ihr Kind gleichermaßen. Manchmal fehlen Zeit, finanzielle Möglichkeiten oder etwas anderes. Und wäre es nicht sehr bedauerlich, wenn nur diese Kinder eine Kita besuchen würden?  

 

 

Ab welchem Alter ein Kind Krippe oder Kindergarten besucht, ist Familien aus gutem Grund selbst überlassen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass jedes Kind davon profitiert. Allerdings muss sich die gesamte Familie wohlfühlen. Deshalb würde ich jedem raten, sich in Frage kommende Einrichtungen gemeinsam anzusehen. Es gibt fast überall die Möglichkeit, zu hospitieren (also den Alltag in der Gruppe kennenzulernen), das Sommerfest zu besuchen und sich durch die Konzeption über das pädagogische Konzept der Einrichtung zu informieren. Ich weiß, dass Kita-Plätze teilweise rar sind. Dennoch würde ich mich nicht für den Besuch einer Einrichtung entscheiden, in der man sich nicht wohlfühlt. Dann ist ein Jahr überbrücken mit einer Tagesmutter oder eine anderen Lösung sicher besser. 

 

 

Die Bilder sind übrigens alle aus der Kita-Zeit unserer Töchter, die ihren Kindergarten beide geliebt haben. Ich möchte damit einen kleinen Einblick in die Vielfalt des pädagogischen Alltags geben. Beim Heraussuchen der Bilder war ich selbst wieder erstaunt, welche Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten unsere Kinder bekommen haben. Dafür bin ich wirklich dankbar. 

 

Im Kindergarten haben unsere Mädels ...

  • Körner gemahlen, Apfelsaft gepresst, gekocht und gebacken
  • Geburtstage gefeiert
  • im Schnee Hügel erklommen
  • Instrumente kennengelernt (dabei wurden Eltern und ehemalige Kindergartenkinder eingebunden)
  • das Kirchenjahr mit allen Sinnen erlebt
  • gemalt, geknetet, geschnitten, getöpfert, gefilzt, gewebt, gebastelt ...
  • im Sandkasten gechillt
  • Fußball gespielt
  • mit Feder und Tusche geschrieben und gemalt
  • Schafe gestreichelt
  • Ausflüge gemacht
  • Freundschaften geschlossen
  • eine Baustelle besucht und im Bagger gesessen
  • gesät, gepflanzt, beobachtet und geerntet
  • genäht und geflochten
  • Lieblingsbücher vorgestellt
  • Bodenbilder gelegt
  • ohne Mama und Papa im Kindergarten übernachtet
  • am Lagerfeuer gesessen und Kartoffeln gegrillt
  • eine Kerze am Adventskranz entzündet

    ...

 

 

… und gaaaanz viel Spaß gehabt. 

 

Liebe Eltern, habt das Wohl eurer Kinder stets im Blick. Findet gemeinsam heraus, wann die richtige Zeit für Krippe oder Kindergarten in eurer Familie gekommen ist und wo der richtige Ort. Lasst euch dabei von niemandem reinreden. Nehmt Anteil am Kita-Alltag, beteiligt euch, sucht das Gespräch, fragt nach, wenn euch etwas unklar ist oder komisch vorkommt. 

Wir haben uns damals als Eltern aktiv eingebracht. Dadurch waren wir immer nah dran und es sind einige gute Freundschaften entstanden. Wenn ich mir die Bilder so ansehe, bin ich dankbar für eine wunderbare Kindergartenzeit, in der unsere Töchter bestens auf die Zukunft (und damit meine ich nicht nur die Schule) vorbereitet wurden. Aber auch in dieser Einrichtung gab es Unzufriedenheit, Unstimmigkeiten zwischen Mitarbeiterinnen, Eltern, die mit ihren Kindern in einen anderen Kindergarten wechselten. Wo viele Menschen sind, menschelt es eben. Und auch daran lernen wir und unsere Kinder wichtige Lektionen für´s Leben. 

 

"Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf."

… weiß ein afrikanisches Sprichwort zu sagen. Verschiedene Rollenvorbilder, Menschen, an denen man sich reiben kann, Unterstützer, Beschützer, Freunde … . Kaum einer von uns lebt in einem solchen Dorf. Die Kita kann ein guter Anfang sein. 

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