Die Sonne schaut wieder öfter vorbei. Ich überlege, ob mein bunter Hängesessel schon auf die Terrasse kann. Der Liegestuhl steht bereits draußen. Sein dickes Polster wurde das eine oder andere Mal vom Regen durchnässt und ist wieder in der Sonne getrocknet. Die Vögel zwitschern. Im Wald sieht man dieses einzigartige, helle, frische Grün an den Bäumen. Licht und Wärme. Wie habe ich sie herbeigesehnt.
Langsam wird es wieder Zeit, das Fahrrad aus dem Schuppen zu holen und in die Eisdiele zu radeln, sich zu Spaziergängen zu verabreden, ausgiebige Stadtbummel zu genießen, ohne sich vor Kälte und Nässe von einem Laden in den anderen zu flüchten.
Der Frühling hält einzug … aber ...
… dieses Jahr ist alles anders. Besondere Zeiten. Homeschooling statt Unterricht, Hamsterkäufe statt ausgiebige Stadtbummel, vorsichtige Isolation statt mit Freunden den ersten Cappuccino in der Eisdiele zu trinken. Es wird wohl als die Corona-Pandemie in die Geschichte eingehen.
In den letzten Wochen haben sich die Ereignisse überschlagen. Gerade noch haben wir ungläubig die Geschehnisse in Italien via Fernsehen verfolgt, schon sind unsere Schulen, Kitas, Läden und auch die Grenzen geschlossen, sehen wir besorgt kopfschüttelnd die Nachrichten über unser eigenes Land. Gerüchte über Ausgangssperren machen die Runde. Wer weiß. Haben wir doch vor Kurzem die Schließung der Schulen auch noch nicht für möglich gehalten.
Besondere Zeiten. Wir sind dankbar, gesund zu sein. Dankbar für unseren kleinen Garten, die gute Versorgung mit Lebensmitteln, unser Gesundheitssystem. Während die einen von uns plötzlich zu Hause sitzen, werden in anderen Berufssparten Leute aus der Elternzeit und aus den Vorlesungssälen rekrutiert, um ärztliche Versorgung sicherzustellen. Dabei riskieren sie ihre eigene Gesundheit. Ich kann ihnen nur dankbar sein.
Linas Konfirmation ...
… rückt näher. Der Vorstellungsgottesdienst der Konfirmanden war der bislang letzte. Jetzt sind Gottesdienste verboten. Wann die Konfirmation stattfinden wird, ist noch unklar. Aber, was soll´s. Eine Konfirmation im Sommer ist bestimmt schön. Mir tut schon eher das junge Paar aus unserer Gemeinde leid, das nächstes Wochenende heiraten wollte.
Der Vorstellungsgottesdienst war wunderschön. Er fand schon unter besonderen Bedingungen statt. Nur jeder zweite Platz durfte besetzt werden, es gab kein Händeschütteln. Aber meinem stolzen Mutterherz tat das keinen Abbruch. Lina am Klavier, bei der Lesung, den Fürbitten … . Wie schön und liebevoll hatte diese Konfirmandengruppe ihren Vorstellungsgottesdienst vorbereitet.
dinner deluxe
Kurz bevor wir uns alle mehr oder weniger in unsere eigenen vier Wände zurückgezogen haben, bekamen wir noch einmal ein besonderes Dinner serviert. Sophia und ihre Freundin Fabiola treffen sich in größeren Abständen zum Kochen. Das Resultat servieren sie dann uns Eltern und der "kleinen" Schwester. Es ist jedes Mal ein ganz besonderes Drei-Gänge-Menü, so auch diesmal. Wer hätte gedacht, dass es das letzte gemeinsame Essen mit Freunden für unbestimmte Zeit werden würde? Umso dankbarer bin ich für diesen Abend.
gedankengänge
Besondere Zeiten stellen uns vor besondere Herausforderungen. So dankbar ich dafür bin, wie gut es uns geht - die Kinder sind groß und verständnisvoll, selbst bei einer Ausgangssperre hätten wir kein größeres Problem, weil wir in einem schönen Haus mit kleinem Garten wohnen - so sehr denke ich besorgt an die Menschen, die besonders unter der Situation leiden. Alte, kranke, einsame, depressive Menschen, Frauen und Männer in Gesundheits- und Pflegeberufen, die bis an ihre Grenzen gefordert werden. Ich bete für sie und versuche, ein bisschen Unterstützung zu geben, Einkaufsdienste anzubieten, meine Oma öfter anzurufen ...
Meine Oma ist über achtzig und nicht bei bester Gesundheit. Sie lebt weit weg von uns in Leipzig in einer Ein-Zimmer-Wohnung und ist bewundernswert diszipliniert. Jeden Tag geht sie spazieren und zweimal in der Woche schwimmen, was ihre Gelenkschmerzen lindert. Sie besucht Theater und Kino. Wenn es gesundheitlich geht, unternimmt sie gerne Stadtbummel. Meine Oma war schon immer ein extrovertierter Typ und braucht das mehr als andere Menschen, um psychisch stabil zu bleiben. Jetzt soll sie nicht mehr raus, weil sie Risikopatientin ist. Das Schwimmbad und die Läden sind ohnehin geschlossen. Gestern haben wir telefoniert. So lange wie schon ewig nicht mehr. Sie ist halbwegs gefasst und ich hoffe, das bleibt so. Kurz habe ich darüber nachgedacht, sie einfach zu uns zu holen. Aber erstens ist sie ein unruhiger Geist, der nie länger als ein, zwei Nächte in einem "fremden" Bett schlafen kann und zweitens würden wir ihre Gesundheit damit vermutlich eher gefährden als zu helfen. Meine Oma hat weder WhatsApp noch Social Media. Wie sagte sie einmal so schön: "Vielleicht hätte ich mir damals doch so ein Internet kaufen sollen. Aber jetzt kriege ich das nicht mehr hin." Ohne echte Kontakte bleiben ihr eigentlich nur der Fernseher und das Telefon als Verbindung zur Außenwelt. Ich habe mit den Kindern gesprochen. Wir werden uns einfach abwechseln und sie möglichst oft anrufen und ein bisschen ablenken.
"Ihr seid das Licht der Welt", heißt es in der Bibel. Vielleicht können wir in dieser besonderen Zeit für ein paar Menschen zumindest ein kleiner Lichtblick sein.
Hoffnung schimmert
Besondere Zeiten. Zwischen Angst und Verunsicherung schimmern Solidarität und Zuversicht. Wo einerseits Nudeln aus dem Einkaufswagen geklaut werden, formieren sich auf der anderen Seite Gruppen, die hilfsbedürftigen Menschen anbieten, für sie einkaufen zu gehen, auf die Kinder aufzupassen, den Hund Gassi zu führen. Wo in Italien Menschen in überfüllten Krankenhäusern auf ihre Behandlung warten, singen andere von Balkonen und aus Fenstern und symbolisieren damit Zusammenhalt und ein "Wir lassen uns nicht unterkriegen". Wo wir misstrauisch überlegen, ob China uns die Wahrheit über den Ursprung der Pandemie sagt, landet medizinisches Fachpersonal aus China mit Erfahrung und Hilfsgütern im Gepäck und bietet Unterstützung an. Während wir reihenweise in Homeoffice und Homeschooling arbeiten und sich die Straßen leeren, atmet unsere Umwelt auf und erholt sich. Satellitenbilder der NASA zeigen einen deutlichen Rückgang der Stickstoffdioxidbelastung über China und in Venedigs Kanälen verbessert sich die Wasserqualität.
Wäre es nicht möglich, dass diese besondere Zeit auch ihre Chancen in sich birgt? Könnte es nicht sein, dass wir anders aus dieser Krise herausgehen? Die Dankbarkeit neu entdecken, Kreativität, Solidarität, Zusammenhalt. Familienzeiten bewusst gestalten, nicht nur vor dem Fernseher oder jeder in seinem eigenen Zimmer. Uns wieder mehr auf uns selbst besinnen, uns bewusst Zeit nehmen für den Partner, ein gutes Buch, Gebet. Die Möglichkeit entdecken, dass manche Arbeit auch von zu Hause aus erledigt werden kann, ohne dass jeden Tag jeder in seinem Auto sitzt und teilweise irrsinnig viele Kilometer auf dem Weg ins Büro und zurück auf der Straße verbringt und damit die Umwelt belastet. Für Arbeitgeber, seinen Mitarbeitern vertrauen zu lernen, dass sie auch ohne Stechuhr und persönliche Kontrolle für ihre Arbeit motiviert sind und sie gut machen. Vielleicht ist das naiv, aber ich möchte daran glauben und uns das zutrauen.
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Mutti (Mittwoch, 18 März 2020 14:45)
Deine Worte haben mich sehr berührt, auch die Chance darin zu sehen. Für uns alle. In einer Welt, die so kalt geworden ist. Die so von Hass und Misstrauen geprägt ist.
Ich habe die Hoffnung, dass viele eine Chance in dieser Krise sehen
Vielleicht ist deshalb der Tag so schön, um uns freundlich für einander zu stimmen.
Thomas (Mittwoch, 18 März 2020 18:22)
Danke für die guten Gedanken. Ja, wenn wir derzeit schon nicht zusammen sein dürfen, lasst uns zusammenstehen und auch füreinander beten!