Eine neue Familientradition

Seit zwei Tagen weiß ich, dass der Schulalltag am 27.04. wieder beginnen wird. Nein, so ganz richtig ist das nicht. Unsere Töchter werden weiter bis mindestens Mitte Mai online beschult. Aber ich unterrichte zwei Abschlussklassen und für die beginnt in zehn Tagen wieder der Unterricht. Wie das genau aussehen wird, weiß ich noch nicht. Wir werden die Klassen teilen müssen und in erster Linie geht es wohl um die Prüfungsvorbereitungen. Nachdem Kindertagesstätten auf unbestimmte Zeit weiter geschlossen sind, bleibt das mit den praktischen Prüfungen, die eigentlich ab Mai beginnen sollten, spannend. 

 

Bevor nächste Woche (Ferienende) der Berufsalltag mit einer weiteren Woche Online-Unterricht, Planungsgesprächen und Lehrerkonferenz wieder beginnt, möchte ich nochmal mit euch auf eine besondere Zeit und auf ganz besondere Ostertage zurückblicken.

 

 

Wie in nahezu allen Orten ist auch unsere Gemeinde kreativ geworden. Streaminggottesdienste, sogar für Kinder, holen die Kirche ins Wohnzimmer und nach ein bisschen Fremdeln mit der Situation haben wir es als Familie genossen, den Gottesdienst nach dem Ausschlafen und gemütlich im Schlafanzug auf dem Sofa sitzend zu genießen. Ich fand es auch sehr bereichernd, in anderen Gemeinden "vorbeizugucken", was ich sonst wohl nicht gemacht hätte. So war ich mal beim Leipzigprojekt meiner Autorenfreundin Nathalie und mal bei Vinyard Köln, wo ich im letzten Herbst an einem Bloggertreffen teilgenommen habe.  

 

Unsere Große bedauerte, dass in diesem Jahr keine Osternacht stattfinden konnte. Ich glaube, mit dieser Äußerung fing es an, dass wir uns über unsere eigene Familienfeier Gedanken machten. Die ganze Nacht vor Ostersonntag wach zu bleiben verweigerte mein Mann, der als einziger in der Familie keine Ferien hat. Was ich bei unseren Langschläfern (ich gehöre selbst dazu) nie gedacht hätte: Wir standen tatsächlich alle vier gefühlt mitten in der Nacht auf, um am Ostermorgen den Sonnenaufgaben zu erleben. Aber ich erzähle nach und nach. 

 

Familienabendmahl an gründonnerstag

Wir setzten uns vor Ostern zusammen und überlegten, wie wir die kommenden Tage gemeinsam gestalten wollten. Schließlich stand fest, an Gründonnerstag wollten wir als Familie Abendmahl feiern. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich dem kirchlichen Abendmahl nicht viel abgewinnen kann. Beim Empfangen von Oblate und Wein fühle ich mich Gott nicht wirklich nah. Thilo und ich haben schon öfter darüber gesprochen, wie ein Abendmahl aussehen müsste, dass es uns berührt. Und wir kamen beide zu dem Schluss, es sollte sich um ein richtiges Gemeinschaftsessen handeln, so wie damals bei Jesus. Natürlich ist das im normalen Gottesdienst so nicht umzusetzen. Aber wir träumten immer ein bisschen davon. Und so gab es bei uns an Gründonnerstag ein leckeres Familienessen. Der Tisch war festlich gedeckt mit Leinentischdecke, Menora (siebenarmiger Leuchter) und Leckereien aus dem türkischen Lebensmittelgeschäft. Sophia hatte sogar Fladenbrot gebacken. Wir aßen und tranken gemeinsam, Thilo las den Bibeltext zum letzten Abendmahl und wir teilten Brot und Wein miteinander. Nach dem Essen schnappte sich Thilo die Gitarre und wir sangen. Sophia hatte eine kleine Andacht vorbereitet, zum Abschluss beteten wir gemeinsam. Es war ein besonderes Erlebnis für uns vier, von dem ich mit unseren nicht so kirchenaffinen Teenies nie zu träumen gewagt hätte. Ich könnte mir vorstellen, dass an diesem Abend eine neue Familientradition gegründet wurde. 

 

sonnenaufgang an Ostersonntag

 An Ostersonntag schafften wir es tatsächlich alle rechtzeitig aus dem Bett. Die Vögel zwitscherten laut, davon abgesehen war es still und leer auf den Straßen. Wir fuhren ein Stück aufs Land, wippten frierend von einem Bein auf das andere und erlebten schließlich, wie die Sonne als glühender Feuerball über dem Feld aufging. Ich bin so dankbar, dass das Wetter so gut mitspielte, denn ich habe diesen Sonnenaufgang als ganz besondere Symbolik empfunden. Die Sonne geht auf, egal, was in der Welt passiert. Ich kann mich darauf verlassen - so wie auf Gottes Gegenwart. 

Auf dem Rückweg begegneten uns vereinzelt andere Menschen. Wir winkten und grüßten einander. Wie anders als sonst, wo wir doch so oft zu Boden gucken und wegsehen, wenn Fremde unseren Weg kreuzen. Der Ostergruß. Ein Zeichen der Hoffnung und der Verbundenheit. 

 

 

Zu Hause hatte Lina eine kleine Geschichte vorbereitet. Die Andacht war diesmal meine Aufgabe. In Anlehnung an Gedanken von Anselm Grün beschäftigten wir uns mit dem zur Seite gewälzten Grabstein (Matthäus 28,1-6) als Symbol für die Blockaden, die uns am Leben hindern. 

 

Welche Blockaden können das sein? Zum Beispiel Ballast der Vergangenheit, der wie ein Stein auf mir liegt oder Hemmungen, die mich lähmen. Zukünftige Ereignisse, vor denen ich mich fürchte (z.B. Angst vor einer Prüfung, einer unangenehmen Besprechung, einer Operation …) oder Menschen, in deren Nähe ich nicht frei atmen kann, die mich blockieren und mir Angst machen.

 

Auferstehung heißt hier: Ein Engel wälzt den Stein - die Last, die mich am Leben hindert - weg und setzt sich wie ein Sieger auf ihn. Ich kann wieder frei atmen. Der Stein wird zum Zeichen für den Sieg des Lebens über den Tod, eine Erinnerung daran, dass ein Wunder an mir geschehen ist: Mein Grab ist aufgebrochen und ich kann aufstehen. 

 

Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, welche Steine unser Leben blockieren, bereitliegende Steine damit beschriftet und sie im stillen Gebet Gott übergeben. Dabei legte jeder ein paar Weihrauchkügelchen auf das Räucherstövchen. Die Utensilien dafür habe ich mir in Kloster Strahlfeld gekauft. Ich - evangelische Protestantin durch und durch - nähere mich den ganzheitlichen Sinneserfahrungen der katholischen Kirche ein Stück weit an. Denn ich mag die Vorstellung, dass unsere Gebete wie der Weihrauch zu Gott emporsteigen. 

 

Am Vortag hatten wir das völlig verwilderte kleine Stück Erde neben unserem Hochbeet bearbeitet und von Unkraut befreit. Thilo sicherte den Hang mit Steinen, so dass wir es bepflanzen konnten. In dieses neu angelegt Beet vergruben wir unsere Steine und säten anschließend Blumensamen darauf aus. Zu guter Letzt streute ich die abgekühlte Weihrauchasche über das Beet. 

 

Eigentlich sollte jetzt unser Osterfrühstück folgen, aber drei von vier Schlafmützen verkrochen sich erstmal wieder ins Bett. Ums mit Pumuckl zu sagen: Wir genossen dann am frühen Nachmittag ausgiebig ein Spätstück. Der Abend wurde mit unserem eigenen Osterfeuer auf der Terrasse beschlossen - natürlich mit Stockbrot. 

 

Ostertage

Unsere Stadtkirche hatte über die Ostertage ihre Türen geöffnet und die Möglichkeit gegeben, eine der bereitstehenden kleinen Kerzen an der großen zu entzünden, um sich auf diese Weise das Osterlicht mit nach Hause zu nehmen. Und so fühlten wir uns in diesen Tagen auch mit der ganzen Kirchengemeinde verbunden. 

 

 

Das Wetter ist nach wie vor ein Traum. Für die Landwirtschaft zu trocken, ich weiß, aber für mein Gemüt eine echte Wohltat. Nach dem beeindruckenden Sonnenaufgang am Ostersonntag beobachten wir in den letzten Tagen staunend die schönsten Sonnenuntergänge. Gestern war Thilo mit dem Fahrrad unterwegs und hat ein paar besondere Momente mit der Handykamera festgehalten. Das letzte Bild in der Reihe ist noch von Ostern, als Sophia die Sonne mit ihrem Kerzenglas eingefangen hat. 

 

 

Mich beschleicht Wehmut bei dem Gedanken, dass diese Zeit der Entschleunigung und der besonderen Momente irgendwann zu Ende geht. Bisher wollte ich mir das nicht eingestehen, denn ich habe ein schlechtes Gewissen dabei. Gestern Abend durfte ich per Zoom-Meeting an einem Council mit Anne-Maria Apelt teilnehmen: "In der Zeit des Covid-19 Shut Down treffen wir uns jeden Donnerstag um 20 Uhr virtuell, um im Kreis zu sitzen, von Herzen zu sprechen und von Herzen zu hören. Via Zoom. Kostenlos. Für die Gemeinschaft. Gegen die Einsamkeit. Für Verbundenheit.
Mitmachen kann jeder und jede, die möchte. Anmeldung erforderlich. Wir beginnen pünktlich um 20 Uhr, ein später dazu kommen ist leider nicht möglich. Zu Beginn zünden wir eine Kerze an, es gibt eine kurze Einführung, dann Council. Am Ende kann sich jeder selbst ein Zeichen der Hoffnung geben (Salbung mit Öl oder Räuchern oder Brot teilen)."

 

Es war eine bereichernde Zeit, aus der ich vor allem eines mitgenommen habe: Diese kleine Wehmut ist völlig in Ordnung. Sie hat nichts damit zu tun, dass ich mir die Pandemie mit ihren schrecklichen Folgen für viele Menschen gewünscht hätte oder gar verlängern wollte. Nein, sie zeigt mir nur, dass es mir gut tut, einmal aus dem Hamsterrad herausgenommen zu werden. Zu entschleunigen, bewusster zu leben. Mir ist klar, dass es Familien, die Homeoffice und die Betreuung kleiner Kinder unter einen Hut bringen müssen, ganz anders geht. Ich spreche hier nur von meinem Leben. Und ich kann und darf zu dieser Wahrnehmung, zu diesen Gefühlen stehen. Es hat so gut getan, gestern Abend zu hören, dass es den anderen Frauen im Gesprächskreis genauso geht. Obwohl ich in den letzten Wochen viele Stunden vor dem PC verbracht habe, um mich mit E-Learning vertraut zu machen und online zu unterrichten, bin ich auch in den Wald gegangen, habe in meinem Hängesessel auf der Terrasse gesessen, fünf Bücher gelesen. Ich weiß noch nicht, ob ich dieses Versprechen an mich selbst auch halten kann, aber ich bin fest entschlossen, mir diese neue Lebensqualität nicht wieder völlig aus der Hand nehmen zu lassen. 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0