ich dachte, es müsse magisch sein.
Mit einem Notizbuch und dem "Grüne Wunder erleben-Kartenset" von Anne-Maria Apelt hatte ich mich auf den Weg gemacht, einen Ort zu finden. Meinen Ort. Eigentlich wusste ich schon genau, wo er war. Auf einem Spaziergang letzte Woche hatte ich ihn entdeckt. In der Bitterbachschlucht auf der anderen Seite der Straße, nicht auf unserer Seite des Waldes. Da, wo sich der Bach malerisch zwischen den Sandsteinfelsen schlängelt. Dort wollte ich mich in der Sonne an einen Baum lehnen, Vögel zwitschern hören, Wald atmen und mich von Anne Marias Karten inspirieren lassen. Der Tag war perfekt. Gestern Regen, morgen Wolken, aber heute schien die Sonne. Ich schnappte mir mein Rad, lehnte es am Eingang der Schlucht an einen Baum und machte mich zu Fuß weiter auf den Weg.
auf der suche
Ein Vorrecht, so zu wohnen. Die Bitterbachschlucht ist wunderschön. Leider weiß das nicht nur ich. Seit Corona haben Familien mit kleinen Kindern den Wald neu entdeckt. Jetzt sind die Spielplätze zwar wieder geöffnet, aber warum sollte man Klettergerüste erklimmen, wenn es nebenan Felsen gibt? Warum Wasserspielplätze besuchen, wenn man einen echten Bach stauen kann? Ich verstehe sie ja, all die Familien, die gestern auf "meinem Platz" waren. Ich zog also weiter, hoffnungsvoll, irgendwo doch noch den Baum in der Sonne zu finden, an den ich mich lehnen wollte. Und Stille. Ein kleines Mädchen rief "Vinceeent, ruf´ mal piiiep!" Als ich soweit war, sie nicht mehr zu hören, begegnete mir eine Dreigenerationenfamilie beim Picknick auf dem sonnigen Felsen. Ich stapfte weiter und weiter und schließlich wieder zurück zu meinem Fahrrad. Unterwegs machte ich jede Menge Fotos. Es war ja schließlich schön hier, wenn auch nicht still. Entdeckungen am Wegesrand. Die dicke Spinnenwebe im ausgehöhlten Baumstumpf sah aus, wie eine Hängematte für Waldelfen. Der Bach glitzerte grün im Sonnenlicht. Und dieser Baum fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Er wächst einfach so auf dem kahlen Felsen hoch über dem Bach der Sonne entgegen.
Warum ist hier nur keine Stille zu finden, kein Raum für mich? Ist mein Platz vielleicht gar nicht dort, wo ich ihn mir vorgestellt habe? Suche ich am falschen Ort? Brauche ich eigentlich Sonne und einen Baum zum Anlehnen? Ist mein Platz doch nicht hier, an dieser malerisch schönen Stelle? Sollte ich vielleicht auf der anderen Seite suchen? Auf unserer Seite des Waldes, diesem ganz "alltäglichen" Ort? Oder gibt es den Platz für mich gar nicht? Bin ich noch auf der Suche? Unterwegs? Und wohin?
Unterwegssein
Also wieder rauf auf´ s Rad. Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, fuhr querfeldein und querwaldaus. Entdeckte Pusteblumenwiesen und erinnerte mich an die stylischen Pinterestbilder von Pusteblumenarrangements in Gläsern und Schalen. Sowas wollte ich auch in unser Wohnzimmer holen. Also Rad abstellen und Pusteblumen pflücken. Gar nicht so einfach. Der geringste Windstoß reichte und die Pusteblumenpracht war halbiert. Wenn schon, dann mache ich das selbst. Ich pflückte einen dicken Strauß und pustete, was das Zeug hielt. Herrlich! Das habe ich zuletzt als Kind getan oder vielleicht mit unseren Kindern? Auf jeden Fall ist es eine ganze Weile her. Ich machte weiter, bis ich außer Puste war.
Und wieder auf´ s Rad. Mein Orientierungssinn gab auf. Stille fand ich hier auch nicht. Stattdessen wohl eine Art Mountainbikeparcours. Denn während ich mein Fahrrad vorsichtig über Wurzeln, Steine und Äste navigierte, brausten rechts und links lauter kleine Jungs auf schnellen Rädern an mir vorbei durch den Wald. Schon wieder Erinnerungsfetzen. Sowas habe ich als Kind auch gemacht. Mit meinen Freunden über Stock und Stein fahren, je höher desto besser. Manchmal gab es sogar kleine Sprungschanzen. Die Räder hießen BMX. Gibt es die heute noch? Wobei ich zugeben muss, dass ich gar keins hatte. Meines war ein stinknormales Citybike, was regelmäßig Achter hatte. War eben nicht so geländetauglich. Spaß gemacht hat´ s trotzdem.
Zwischen Wald und Wiese schlossen sich die Bäume über mir zu einem Tunnel zusammen. Wie ein verwunschener Gang. Ich folgte ihm, holperte dann durch Brennesseln, bis ich schließlich auf einer Pferdekoppel landete. Kein einziges Pferd weit und breit zu sehen, nur ein einsamer Drahtesel. Irgendwann fand ich mich dann auf einer bekannten Straße wieder und beschloss, dem Wald nebenan doch noch einen kurzen Besuch abzustatten.
alltagspfade
Da war er also, "unser" Wald. Ich bog einfach mal woanders ab und entdeckte einen Jägerhochstand. Als Kind bin ich an keinem vorbeigekommen, ohne raufzuklettern. Ob der mich aushielt? Stabil genug sah er eigentlich aus. Und wenn jemand vorbeikam? Egal. Ich stellte mein Rad ab und machte mich an den Aufstieg. Ganz schön hoch. Als ich mich oben niederließ, schwankte die Welt um mich herum ein wenig.
Ich war dreizehn und meine Eltern bauten ein Haus. Mein Vater, von Beruf Maurermeister, machte ganz viel selbst. Einmal stand ich mit ihm auf dem Gerüst auf Höhe des ersten Stocks. Ich weiß noch wie heute, dass ich spürte, wie das Gerüst mit mir kippte. Was es natürlich nicht tat. Aber es fühlte sich sehr realistisch an, bis ich mich an die Höhe gewöhnt hatte und mich sicher fühlte.
So war das jetzt auch. Irgendwann löste sich die Anspannung und ich genoss. Keine Sonne, kein Baum. Dafür eine Art Baumhaus. Und endlich genug Stille, um der Natur zuzuhören. Ein Vogelkonzert, hier und da knackte und raschelte es im Gebüsch. Und irgendwo - mehr zu ahnen als zu hören - rauschte ganz leise ein kleiner Bach.
Ich hatte meinen Platz gefunden. Nicht für eine Stunde oder mehr. Nicht für eine Aktion mit Kartenset und Notizbuch. Heute nicht. Aber für einen Moment durchatmen und genießen. Und was war mir nicht alles auf dem Weg begegnet? Eine Elfenhängematte im Baumstumpf, ein Pusteblumenstrauß zum Wegpusten, ein Baumtunnel mitten im Wald, Erinnerungen an Achter im Fahrrad und schließlich ein Platz im "Baumhaus".
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