Ich könnte mich aufregen (hab´ ich auch schon getan, fragt meinen Mann). Darüber, dass der Schulbetrieb vor den Ferien viel zu lange um jeden Preis als Präsenzunterricht stattfand. Die Ampelregelung, ab wann es Wechsel-, ab wann Distanzunterricht gibt, einfach so außer Kraft gesetzt wurde. 30 Schüler eng an eng im Klassenzimmer saßen, (fast) Volljährige, die angeblich nicht infektiös waren, da Schüler. Als ob der Virus hier einen Unterschied machen würde. Plötzlich die Erkenntnis, dass dem wohl doch nicht so ist. Und auch hier wieder ein Schnellschuss: Streichung der Faschingsferien in Bayern. Hätte man da nicht differenzieren können. Vielleicht mehr Zeit für Unterricht in geteilten Abschlussklassen einräumen? Und wieder gibt es keine verlässliche Aussage darüber, wie es im Februar weitergeht. Dabei wäre das doch mit einem Ampelsystem, an das man sich hält, so einfach. Und würde Schülern, Lehrern, berufstätigen Eltern und Arbeitgebern Planungssicherheit geben. Stattdessen guckt man sich eine Pressekonferenz nach der anderen an, nur, um am nächsten Tag zu erfahren, dass jedes Bundesland mal wieder macht, was es will. Dazu kommt die Überlastung der Lernplattformen. Wie habe ich mein Kollegium getriezt, sich fortzubilden, um Mebis während Wechsel- und Distanzunterrichtszeiten nutzen zu können. Und dann rät der Kultusminister himself, es mit der Nutzung von Mebis nicht zu übertreiben. Ja, ich könnte mich aufregen …
Themenwechsel
2020 habe ich mich das erste Mal mit dem „Wort des Jahres“ auseinandergesetzt. Ein Wort, dass man sich erarbeiten oder wählen kann, das einem vielleicht auch einfach immer wieder begegnet. Letztes Jahr hieß es für mich „reifen“. Es war das Ergebnis einer Wortsammlung, die ich immer wieder hinterfragte und überarbeitete, bis es stimmig war.
Mein Wort für 2021 kam auf ganz anderem Wege zu mir. Ich wollte in den letzten Tagen des alten Jahres ein Visionboard - eine Art künstlerische Collage aus Bild- und Textschnipseln - zum Thema „reifen“ gestalten, um das Jahr abzuschließen. Stattdessen begegnete mir das Bild einer eingießenden Teekanne und die so passende Wörterschnipsel „Lasst das Leben laufen!“ und „Alles fließt“. Ein Schreibschrift-Wort kam dazu und schien die Überschrift über das Ganze zu bilden: „Gelassenheit“. Ohne bewusst danach gesucht zu haben, hatte ich es gefunden. Mein Wort des Jahres 2021: Gelassenheit
Ich glaube, es ist ein sehr, sehr herausforderndes Motto für mich. Das Arbeitstier. Die Perfektionistin. Die Ungeduldige.
Und hier schließt sich der Kreis. Der Umgang mit Corona und Bildung macht mich manchmal rasend vor Wut. Dazu kommt, dass ich in der Arbeit eine Art Doppelaufgabe habe: stellvertretende Schulleitung und Ansprechpartnerin für Digitalisierung. Die herausforderndste Kombination, die man sich momentan vorstellen kann. Ich bin auch nicht dank meiner herausragenden Computerkenntnisse dazu gekommen, sondern eher wie die Jungfrau zum Kinde. Und so arbeite ich mich momentan selbst in ganz viele digitale Tools ein, versuche mich im Unterrichten per Videokonferenz und beantworte daneben 24/7 E-Mails von und telefoniere mit Kolleg/innen und Schüler/innen, die Fragen zu Technik und Distanzunterricht haben. Abgrenzung ist hier ein ganz klares Lernfeld für mich. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass die Videokonferenzen Spaß machen und ich positive Rückmeldungen bekomme. Ich bin auch total begeistert, wie lernwillig und engagiert meine Kolleg/innen sind. Jeder gibt sein Bestes. Und dennoch reibt es mich manchmal auf.
Gelassenheit - Das kleine Wort fordert nicht nur meine Persönlichkeit heraus, sondern spricht auch ganz besonders in diese Zeit. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass es mich gefunden hat.
In diesem Moment sehe ich aus dem Fenster. Nachdem ich wochenlang neidisch auf gefühlt ganz Deutschland geschielt habe, wo überall Schnee zu liegen schien, während es bei uns höchstens zu Matsch und Puderzucker reichte, werden wir gerade überreich mit Schnee beschenkt. Es ist ein Traum! Wir sind fast eingeschneit und es hört nicht auf. Ich bin so dankbar, dass ich wegen des Distanzunterrichts keine 2x45 km Arbeitsweg bewältigen muss, sondern in meinem warmen, gemütlichen Wohnzimmer per Videochat zu den Schüler/innen komme. Was für ein Segen die Technik doch sein kann, wenn sie funktioniert.
Der Schnee. Er legt sich still und weiß über alles. Über unser Hochbeet und den inklusive Auflage auf der Wiese vergessenen Liegestuhl.
Zwischen zwei Videokonferenzen gehe ich vor die Tür und schippe Schnee. Lehrer lüften sozusagen.
Alles ist weiß und ruhig.
Gedämpfte Geräusche.
Gelassenheit macht sich in mir breit.
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Annette Baumann (Donnerstag, 14 Januar 2021 19:10)
...ich danke dir fürs erzählen wie dich das wort gefunden hat....
herzlichst
annette
Anja (Sonntag, 28 Februar 2021 07:18)
"Lehrer lüften", finde ich super. Hab grad dein Blog entdeckt und bin begeistert ��. Bleib ruhig/ gelassen und gönn dir auch mal was Gutes!