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Standortbestimmung

 

Wenn ich mit mir und der Welt alleine bin, dreht sich oft das Gedankenkarussell. Manchmal hört es aber nach einer Weile auf und mein Innerstes kommt zur Ruhe. Das sind wertvolle Momente. Sie können mich zutiefst entspannen, weil ich einfach mal nichts denke. Oder ich begegne meinem Gott. Wie auch immer das aussehen mag. Er ist da sehr kreativ. Beim letzten Mal sind wir miteinander Rad gefahren. 

 

 

Mein E-Bike war zur Inspektion. Der Rückweg nach Hause führte mich landschaftlich wunderschön durch die Täler der Hersbrucker Schweiz, am Fluss entlang, vorbei an einem Baggersee und durch schattige Waldstücke. So richtig was zum Kopf freibekommen. Und irgendwann war da der Gedanke in meinem Kopf "Hier bin ich, Herr. Ich höre". 

 

Es gab keinen Blitzschlag und auch keine göttliche Stimme vom Himmel. Ich trat einfach weiter ruhig in meine Pedale und genoss die Landschaft. Wunderschönes sonniges Wetter. Am Himmel zog ein Segelflieger seine Kreise. Es sah ganz unbeschwert aus, gelassen. Ich wollte nicht wirklich drin sitzen, aber das Bild brachte irgendeine Saite in mir zum Klingen. Muss das nicht unwahrscheinlich entspannt und befreiend sein, wenn man sich so tragen lassen kann? Segelflieger werden von einem Motorflugzeug nach oben gezogen oder mit der Seilwinde in den Himmel katapultiert und gleiten dann völlig ohne eigenen Antrieb bis zur Landung durch die Luft. Man muss sich allerdings trauen und die Verbindung kappen. Erst wenn man sich dazu durchgerungen hat loszulassen, wird man getragen. Der Segelflieger landete vor meinen Augen auf dem angrenzenden Feld, aber meine Gedanken waren noch mit ihm in der Luft. Bei diesem wunderbaren Gefühl des Getragenseins, der Ruhe und Leichtigkeit, die sich einstellen können, wenn man es schafft, die Kontrolle abzugeben.

 

Ich überdachte die Parallelen zu meinem Leben, zu dem, was wir seit Thilos Herzinfarkt in unseren Gedanken bewegen. Das klare Bild unseres Lebens hat Risse bekommen. Bisher war alles geordnet und planmäßig verlaufen - von Studium und Heirat über Familiengründung, Hauskauf und Karriereschritten. Und nun hatte sich völlig unerwartet in der Lebensmitte die Frage gestellt, ob es so weitergehen kann und soll. Das Bild des Segelfliegers sprach mich in diesen Überlegungen an. Er machte mir für einen Moment ganz deutlich klar, dass Loslassen und Vertrauen der richtige Weg für uns ist. 

 

 

Aber wie genau kann das in unserem Leben aussehen und warum schleichen sich bei mir immer wieder Zukunftsängste ein? Über den Wiesen zog jetzt ein Vogel seine Kreise. Dasselbe Bild. Er glitt mit weit ausgebreiteten Flügeln scheinbar schwere- und mühelos dahin. Keine Spur von Angst, Bedenken oder Hektik. Meine Augen folgten seinem Flug, bis sich etwas änderte. Für eine Weile blieb er in der Luft stehen und schlug dabei schnell mit den Flügeln. Hatte er Nahrung auf dem Boden entdeckt? Es sah anstrengend aus, wie er da so flatterte, um nicht abzustürzen. Schließlich drehte er ab und ließ sich wieder entspannt durch die Luft gleiten. Ich blickte ihm lange nach. Was hatte ich gesehen?

 

Ich glaube, es war eine Standortbestimmung. Nach Zeiten des Getragenseins hatte der Vogel unter Kraftaufwand einen Stopp eingelegt, um sich zu orientieren. Ein anstrengender Stillstand, wie er manchmal nötig ist, bevor Klarheit einkehrt und vertrauensvolles Loslassen wieder möglich wird. 

Ich denke, hier befinden wir uns gerade. Bei einer Standortbestimmung, einer grundlegenden Orientierung, wie wir in Zukunft leben möchten und was das mit unseren (beruflichen) Wegen zu tun hat. Das fühlt sich manchmal kräftezehrend an und ich gebe zu, dass mich auch ab und an ein bisschen Angst vorm Abstürzen befällt. Dann schlage ich vielleicht mal etwas zu hektisch mit den Flügeln. Aber diese Radtour mit all ihren Bildern hat mir wieder vor Augen geführt, dass alles seine Zeit und Berechtigung hat. Zeiten der Orientierung und Zeiten des Loslassens. Zeiten der Anstrengung und Zeiten der Leichtigkeit. Und dass wir dabei nicht alleine sind. 

 

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