· 

Gedankenkarussell

 

Die Nacht auf den 25. Februar war unruhig. Um unser Haus tobte der Sturm, rüttelte an Bäumen und Rolläden. Und in uns tobte das Entsetzen. Trotz sich zunehmend verdichtender Anzeichen hatte keiner von uns Putins Angriff auf die Ukraine wirklich erwartet. Wir hatten Vertrauen in die Diplomatie und Hoffnung. Müde und aufgewühlt begann der nächste Morgen. Thilo hatte kaum geschlafen und ich unruhig. Ich rede selten im Schlaf. Anders in jener Nacht. "Lügner!", hatte er mich rufen gehört. 

 

Später am Tag zog es uns in den Wald. Körper und Geist bewegen, Gedanken aussprechen. Ein vom Sturm gefällter Baum lag auf dem Weg. Um uns herum Anzeichen des Unwetters, was in der vergangenen Nacht gewütet hatte. Wie eine Metapher. Nur, dass sich dieser Sturm schnell gelegt und verhältnismäßig wenig Schaden angerichtet hatte. 

Wir stiegen über den gefallenen Baum, warfen ein paar vorsichtige Blicke nach oben, um die Stabilität seiner Gefährten und die Sicherheit unseres Weges abzuschätzen. Da lag er plötzlich vor mir, direkt vor meinen Füßen: Ein Ast flaumig-weicher Weidenkätzchen. Diese wunderbaren Frühlingsboten, die in freier Natur nicht geschnitten werden dürfen. Doch diesen hier hatte der Wind geholt. Ein Sturmgeschenk. Wie ein Hoffnungszeichen. 

 

 

Noch immer fehlen mir die Worte für das, was in der Ukraine passiert. Ich bange um die Menschen dort. Die Flüchtenden und jene, die nicht flüchten können, weil sie in diesen Stunden ein Kind bekommen, zu alt, schwach oder krank sind, sich um Angehörige kümmern ... . Ich trauere um den Frieden in Europa. Der kalte Krieg und die Angst vor atomaren Angriffen sind doch ein Relikt aus meiner Kindheit und längst Geschichte. Dachte ich. Hoffte ich. Ich will diese Hoffnung nicht einfach aufgeben. Und so halte ich weiter Ausschau  nach Weidenkätzchen auf meinem Weg. Leihe mir Worte, wenn sie fehlen. Die Tageslosungen seit dem 24. Februar sprechen von Befreiung aus der Macht der Feinde und davon, dass Gott seinem Volk Recht schafft. Sie thematisieren Ausharren im Leid sowie Trost und Hoffnung. Ich empfinde, dass die Worte in das aktuelle Geschehen hineinsprechen. 

 

Wieder sind Menschen auf der Flucht und es gibt große Solidarität. Wie sehr wünsche ich mir, dass sie anhält. Dass es anders läuft als bei der letzten großen Flüchtlingswelle, wo neben viel gelebter Nächstenliebe zunehmend Angst, Misstrauen und leider auch Hass aufflammten. 

 

 

Als ich im Januar die Jahreslosung für 2022 las, dachte ich, Corona sei unser größtes Problem. Jetzt haben die Worte aus Johannes 6,37 eine neue, tiefe Bedeutung gewonnen. Weisen wir niemanden ab, der in unserem Land Schutz sucht. Weisen wir niemanden ab, der sich um Gespräche bemüht, damit Frieden gewahrt wird. Im Großen wie im Kleinen. In der Politik wie in unserem eigenen kleinen Mikrokosmos. Frieden fängt in der Familie an!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0